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Michaela Glöckler

Erziehung ohne Humor gibt es nicht

Nr 200 | August 2016

Erziehung hat immer etwas mit Unvollkommenheit zu tun, und Humor ist das Einzige, was einen über jede Unvollkommenheit jederzeit erheben kann. So wie man als Vater des Humors den Ernst bezeichnen kann, so als Mutter die Fröhlichkeit, die Heiterkeit. Wirken diese beiden nicht zusammen, so entsteht kein Humor. Wer sich über Unvollkommenheiten nur ärgert oder zynisch reagiert, der hat noch nicht entdeckt, dass gerade in der Unvollkommenheit der Ansporn zur Entwicklung und zum Erlangen der Vollkommenheit gegeben ist. Wer dies entdeckt, wird dankbar und fröhlich. Und diese humorvolle Stimmung ist genau das, was Kinder und insbesondere Pubertierende brauchen: Sie wollen ernst genommen werden, aber auch die Freiheit zur Entwicklung im Tolerieren der Unzulänglichkeiten erleben.
Lässt sich Humor erlernen – wie entwickelt er sich? Humor­volle Menschen sind besonders ich-starke Menschen. Da sie selbst aktiv und in Entwicklung begriffen sind, haben sie Verständnis für Entwicklungsprozesse – und im Zusammenhang damit eben auch für Unzulänglichkeiten. Humorlose Menschen sind demgegenüber schwächer. Sie brauchen den Ernst und den moralischen Imperativ als Stütze für ihr Selbstbewusstsein und die Kritikfreude, um sich gegenüber der Umwelt zu behaupten und als stark zu erleben. Eine ich-starke Persönlichkeit hingegen hat das nicht nötig und kann daher offen sein für alles, was um sie herum vorgeht, und sich auch fremden Ansichten und schwierigen Problemen gegenüber verständnisvoll zeigen. So ist ein Mittel, Humor zu entwickeln, schwierige Situationen und schwierige Menschen zu verstehen und sich auch für Dinge interessieren zu lernen, für die man sich früher nicht interessieren konnte. Dadurch erstarkt die Persönlichkeit.
Eine andere Hilfe, Humor zu entwickeln, ist, die Komik des Alltags zu entdecken. Hierzu ein Beispiel: Sie kommen nach Hause, haben es eilig, setzen schnell die Reste des Essens vom Vortag in einem Topf zusammen auf und machen einen Eintopf aus Reis, Gemüse, Butter, Gewürzen und Wasser. Während das Ganze zum Kochen kommt, richten Sie schon alles für Ihr Weggehen. Dann wollen Sie den Topf vom Herd nehmen – und nun passiert es: Sie rutschen auf ein paar Tropfen Suppe, die beim Zusammenschütten auf den Fußboden gelangt sind, aus, der Topf, fällt Ihnen aus der Hand, und alles verteilt sich gleichmäßig auf dem Küchenboden. Wem es in solcher Situation gelingt, den Ärger gar nicht aufkommen zu lassen, sondern erst einmal zu schmunzeln, wie gekonnt sich die Suppe in der Küche verbreitet hat, der hat schon viel gewonnen, handelt es sich hier doch um ein außergewöhnliches Alltagsereignis. Das muss erst einmal betrachtet werden. Würde man diese Szene im Film sehen – der hungrige eilige Mensch, der gleichmäßig auf dem Küchenboden verteilte Reis, der leere Teller –, würde man selbstverständlich schmunzeln. Gelingt es, diese Szene des eigenen Lebens auch von ihrer komischen Seite zu sehen, so wächst die Kraft, diese Situation auch zu meistern. Entweder geht man dann mit seinen gepackten Sachen auf die Straße und kauft sich im Vorbeigehen ein Brötchen und verschiebt das Putzen auf den Abend, oder aber man sagt die Verabredung ab und widmet sich in aller Ruhe seinem Haushalt und macht sich klar, dass diese gehetzte Tagesplanung einfach nicht sinnvoll war und dass man eine Pause braucht.
Kinder lieben Ereignisse dieser Art und können sie interessant finden. Erleben Kinder jedoch, dass der Erwachsene nicht die Nerven verliert, sondern sachlich tut, was zur Beseitigung beziehungsweise Verbesserung der Situation nötig ist, und dürfen sie dabei mithelfen, so können diese Erfahrungen sinnvolle Ereignisse des Alltagslebens werden und helfen, den Ernst zu erkennen, der mit dieser Situation ebenfalls verbunden ist.