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Monika Kiel-Hinrichsen

Familie im Fokus IX

Nr 225 | September 2018

Als Mona in den Himmel zog

Miriam, Jakob und Eva stehen still am Grab, auf dem der große Engel sie tröstend anblickt. Heute ist Monas Sterbetag. Sie wäre jetzt bald 10 Jahre alt geworden. Ein Tag, an dem sich bei Miriam und Jakob ein entsetzlicher Film abzuspulen beginnt.
Wie eine schwarze Wolke überdeckte vor drei Jahren die Krebsdiagnose ihrer ältesten Tochter das Familienleben. Mona war gerade in die Schule gekommen, als die unheilbare Krankheit ausbrach. Schwere Entscheidungen mussten binnen kurzer Zeit getroffen werden, die alle überforderten. Es folgten Klinikaufenthalte mit Chemo­therapien und Bestrahlungen, die zur Folge hatten, dass Mona nicht nur äußerlich ihre schönen lockigen Haare verlor, sondern auch innerlich zu einem immer ernsteren kleinen Mädchen wurde. Nur der Klinikclown mit seiner lustigen roten Nase und ihre kleine Schwester Eva schafften es, sie ab und an aufzuheitern. Zur klassischen Therapie hatten sie sich für begleitende Alternativmedizin entschieden und in der Kombination neue Hoffnung geschöpft. Doch die Krankheit siegte!
Besonders schwierig wurde es in ihrem Familienleben, als auch noch die kleine Eva mit Schlafstörungen und Trennungsängsten reagierte. Was sollten sie tun? Mona brauchte alle Aufmerksamkeit – und das zehrte schon an ihren Kräften. Am schlimmsten und gleichzeitig am kostbarsten waren die Zeiten, wenn sie zu Hause sein konnte. Dann waren sie wenigstens wieder eine Familie. Eva entspannte sich dann auch. Kam sie aus dem Kindergarten, war ihr erster Weg an Monas Bett, und sie musste raten, was Eva wieder Schönes für sie gebastelt hatte. Aber dann kamen die «schlimmen Zeiten», in denen Mona oft vor Schmerzen schrie und Eva sich die Ohren zuhalten und unterm Tisch verkriechen musste.
«Mama, weißt du noch, als der Engel Mona in den Himmel zurückgeholt hat?», durchbricht Eva die Stille an diesem Tag am Grab. Mona hatte ihr kurz vor ihrem Tod erzählt, dass in der Nacht ein Engel auf einem großen weißen Pferd geritten gekommen war und sie abholen wollte. Doch sie habe ihm geantwortet, dass sie sich zuvor noch von ihren Eltern und Eva verabschieden müsse.
«Wie lieb von dem Engel, dass er noch gewartet hat, Mama!» Miriam und Jakob haben einen dicken Kloß im Hals. Sie streicheln Eva liebevoll über den Kopf. «Ja, das war lieb von ihm.» Wie gut, dass sie heute so offen über Monas Tod sprechen können. Für Eva ist es immer noch wichtig, in der «Trauergruppe für Kinder» über ihre Gefühle zu sprechen, denn manches Mal denkt sie, dass sie auch ein bisschen Schuld an Monas Tod hat. Wenn sie noch netter zu ihrer Schwester gewesen wäre und Mama und Papa nicht auch noch Kummer gemacht hätte, würde Mona vielleicht noch leben. Neulich hat sie so intensiv von ihr geträumt, dass sie das unbedingt in der Trauer­gruppe erzählen musste. Und wenn sie plötzlich die Angst überfällt, dass sie auch sterben könnte, hört ihr die Leiterin Sabine ruhig zu, ohne ein so sorgenvolles Gesicht wie Mama oder Papa zu bekommen.
Still und ein bisschen bedrückend ist es heute bei ihrer Heimkehr nach Hause. Auf der kleinen Kommode im Wohnzimmer stehen Fotos von Mona, und vor jedem von ihnen brennt eine Kerze für sie. Eva hat ein Blumensträußchen gepflückt und schöne Steine für ihre Schwester gesammelt, die sie dazugelegt. Sie erzählen sich Erinnerungen an Mona – und plötzlich wird es leichter in ihren Herzen, gerade so, als ob Mona kurz zu Besuch gekommen wäre. Eva denkt bei sich, dass sie Mona unbedingt darum bitten möchte, ihr doch aus dem Himmel ein kleines Geschwisterchen zu schicken, damit sie sich nicht mehr so alleine mit Mama und Papa fühlen muss. Aber das wird wohl noch ein wenig dauern – und es wird Mut und Zuversicht brauchen.