Christa Ludwig

Verbrennungen äußersten Grades

Nr 227 | November 2018

Sticks and stones may break your bones/but words can break your heart – das weiß schon ein angejahrter Countrysong. Aber Worte können nicht nur Herzen brechen, Worte brechen Gesetze! Worte können gefährliche Taten sein, die mit Todesstrafe geahndet werden.
Wenn Worte Herzen brechen, treibt sich meine Sympathie meist auf der Seite der Herzen herum. Wenn aber Worte Gesetze brechen, stehe ich oft zu den Worten.
Jan Hus, 1415 zum Feuertod verurteilt, musste auf dem Weg zu seinem Scheiter­haufen in Konstanz an einem Friedhof vorbeigehen, wo seine Bücher bereits brannten. Heine schreibt in seiner Tragödie Almansor: «Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende Menschen …»
Im Fall Hus waren die beiden Brandherde sehr nah beisammen. Heines Satz bezieht sich auf eine andere Bücherver­brennung. Um 1500 war das tolerante Al Andaluz zusammengebrochen, Süd­spanien erobert von den Christen. Juden und Muslime wurden verbannt, ihre Bücher verbrannt. 350 Jahre zuvor war es der eben sich aus­breitende Islam, in dessen Namen Bücher brannten. Die Exekution des Museion von Alexandria ist wahrscheinlich eine Legende, fasst aber bildhaft zusammen, was damals geschah: Mit den Zeugnissen griechischer Wissenschaft habe der Kalif sechs Monate lang die 4.000 Bäder der Stadt beheizen lassen. Saubere Arbeit!
Die Reihe ließe sich endlos fortsetzen. Dem 10. Mai 1933 ist nichts hinzufügen. Fazit: Worte können Angst machen, die Mächtigen der Welt haben Angst vor dem Mächtigeren, vor der Macht des Wortes.
Aber brennt es nicht manchmal doch zu Recht, das Wort, das böse Wort, das Herzen bricht? Ich glaube nicht an böse Worte. Das Wort missbraucht nicht, aber es kann missbraucht werden. Und dann kann es deutlich mehr als Herzen brechen. Es ist die ohnmächtigste Macht auf dieser Erde. Wehrlos, hilflos muss ein Wort wie «Wahrheit» ertragen, dass in seinem Namen Lügen verbreitet werden, muss das Wort «Liebe» erdulden, dass es benutzt wird für Hassparolen, wie sie aktuell inflationär im Internet verbreitet werden. Gehören die nicht auf den Scheiter­haufen? Nein, dem digitalen Medium sei gedankt, dass man sie nicht verbrennen muss, im Gegenteil: Man kann sie löschen. Zumindest im Netz. Aber löscht man sie damit auch in den Seelen der Menschen? Fazit: Es gibt Worte, die mir Angst machen. Genauer – es gibt einen Umgang mit Worten, der mir Angst macht.
Aber es gibt auch, es gab auch Ata al-Muk Dschuwaini! 1256 wurde die als uneinnehmbar geltende Festung Alamut im Iran vom Mongolen-Khan Hülegü erobert und zerstört – und damit auch die grandiose Bibliothek. Amin Maalof berichtet in seinem Buch Samarkand, die Bücher hätten sieben Tagen und sieben Nächte gebrannt. Zum Gefolge des Khan gehörte der junge Gelehrte Dschuwaini, der die Erlaubnis erhielt, einen Schubkarren voller Bücher zu retten. Mit den Koranausgaben war der Karren fast, aber nicht ganz voll. Nun musste der junge Mann auswählen. Es wird berichtet, er habe sich dabei so in die Bücher vertieft und festgelesen, dass er die eindringenden Soldaten des Khans, die schon begannen das Feuer zu legen, nicht bemerkte. Was für ein Leser!
So bleibt letztendlich das Fazit: Das Wort – die Sprache – das Buch kann helfen, Angst zu überwinden.