Titelbild Hochformat

Birte Müller

Freude am Selbermachen

Nr 229 | Januar 2019

Wenn es eine wohltuende Konstante gibt, die sich durch mein ganzes Leben zieht, dann ist es die Freude am Selbermachen.
Als ich Kind war, nannten wir das, womit ich oft viele Stunden selbstvergessen beschäftigt war, Basteln. Aber ich muss zu­geben, das Wort trifft nicht den Punkt. Denn das Einkochen von süßsaurem Kürbis verschafft mir noch heute dieselben Glücks­momente wie der gehäkelte Wurm von damals, und auch unsere Kartoffeln, die in einem Gummistiefel auf dem Balkon wachsen, könnte ich ja nicht als selbst gebastelt bezeichnen. In letzter Zeit lese ich statt des tatsächlich etwas abschätzig klingenden Wortes «basteln» überall die anscheinend höchst trendbewussten Buchstaben DIY, also do it yourself – mach es selber!
Etwas selber machen – das ist ja wirklich mehr als basteln. Das ist für mich auch eine Absage an den Konsum. Es ist Selbstwirk­samkeit – und immer wieder künstlerische Schöpfung. Wenn man es so nennen will, ist Selbermachen wie eine Therapie für mich. Ich brauche das. Um glücklich zu sein, müssen mein Geist und meine Hände in Bewegung bleiben.
Ich gehe durch den Wald und betrachte die abgefallenen Äste auf dem Boden. In ihnen sehe ich Tiere und Wesen – meine Tochter Olivia und ich nennen sie «Stockmänner». Einmal auf die Idee gebracht, kann jeder solche Wesen finden, und jeder wird andere ent­decken als ich.
Damit das Selbermachen für mich heilsam ist, muss es aber unabhängig vom Ergebnis bleiben. Wenn ich also schon eine Stunde an einem Stock geschnitzt habe und mir dann die Nase meines Waldgnoms abbricht, muss ich improvisieren können und es vielleicht eine Eidechse werden lassen. Oder ich werfe den Ast einfach zurück in den Wald. Das Ergebnis ist nicht das, worum es geht. Die Schönheit findet sich meist ohnehin im Zufall. Dem muss man viel Raum geben.
Wir nehmen ein paar Äste mit, und sie liegen später auf unserer Terrasse – bei den vielen gesammelten Steinen. Sie sind für mich eine kleine Verheißung, eine Möglichkeit. Und wenn ich zu lange zögere, werden sie unweigerlich in der Biotonne landen oder im Feuer – ich habe ja auch noch einen Mann, der Ordnung liebt, und einen Sohn, der sehr gerne Stöcke wirft. Aber das ist dann auch gut, denn es wird sich immer wieder etwas Neues finden – sehr vieles sogar!

Stocktiere
Meine Stockgiraffen sind aus trockenem Nadelholz, das ist schön weich und hat viele Verästelungen.
Man kann auch mal etwas anbauen, indem man mit einem spitzen Schnitzmesser ein Loch vorbohrt und ein angespitztes Stöckchen einleimt. Aber mich stört es nicht, wenn meine Giraffen nur drei Beine haben. Angemalt haben Olivia und ich sie mit Acylfarbe.