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Thomas Neuerer

Hector Berlioz – Kunst fordert Freiheit

Nr 231 | März 2019

«Musik ist die poetischste, die mächtigste, die lebendigste der Künste. Sie muss auch die freieste sein.» So denkt und will es Hector Berlioz, am 11. Dezember 1803 geboren und seit Herbst 1826 Student am Pariser Conservatoire. Und so bewarb er sich selbstbewusst – allerdings auch aus dring­licher Notwendigkeit, da sein Vater ihn nicht mehr finanzierte – 1827, also ein Jahr nach Studienbeginn, mit seiner Kantate La Mort d’Orphée schon zum zweiten Mal um den begehrten Prix de Rome, der 1803 von Napoleon eingerichtet worden war. Mit dem Erringen des ersten Preises war ein einjähriger Aufenthalt in der Villa Medici in Rom sowie ein fünfjähriges Stipendium verbunden. Berlioz’ erste Bewerbung wurde mit der Begründung zurückgewiesen, das Werk sei unaufführbar! Das dürfte auch dadurch bedingt gewesen sein, dass die eingereichten Werke grundsätzlich nur auf dem Klavier begleitet wurden – bei Berlioz’ groß an­gelegten Orchestrierungen eine Heraus­forderung für Pianisten.
Berlioz bewarb sich auch in den folgenden drei Jahren mit jeweils einer Kantate (1828: Herminie – immerhin mit einem zweiten Preis bewertet; 1829: La Mort de Cléopâtre; 1830: La Mort de Sardanapale). Und tatsächlich gewann er 1830 den ersten Preis.
Die Texte der Kantaten wurden durch die Jury vor­gegeben. Mit den thematischen Vorgaben von Tod und Sterben meinten die Juroren wohl möglichst viel Tiefsinn und Heroismus den angehenden Komponisten zu entlocken. Im Fall von La Mort d’Orphée stammt der Text von Henri Montan Berton, selbst Komponist, dessen Werk allerdings heute weitgehend vergessen ist, der Professor am Pariser Konservatorium war.
Bezeichnenderweise verwarf Berlioz die Noten von Orphée und Sardanapale. Vom Orphée blieb manches, das in späteren Werken wiederverwendet wurde, dennoch erhalten; vom Sardanapale, den Berlioz ganz dem Geschmack der Jury entsprechend schrieb, hingegen nichts. Er hat die Partitur vernichtet.
Einerseits war Berlioz verständlicherweise daran interessiert, den ersten, üppig dotierten Preis zu erringen. Anderseits kämpfte er mit den strengen und überaus konservativen Vorgaben. Konservatoriums­direktor und Komponist Daniel-François-Esprit Auber riet ihm: «Schreiben Sie platt, und wenn Sie etwas gemacht haben, was Ihnen furchtbar platt erscheint, so wird es genau das sein, was notwendig ist.»
Berlioz äußerte sich einmal auf die ihm in Frankreich entgegengebrachte Kritik: «Für Dichter und Musiker ist das Theater mit seinen fortwährenden Demütigungen eine hohe Schule der Duldung und Ergebung. Die einen müssen sich von Menschen Belehrungen gefallen lassen, welche nicht grammatisch richtig schreiben können; die andern von solchen, die nicht wissen, was eine Tonleiter ist. Und alle diese ‹Kunstrichter› sind noch überdies von vornherein gegen alles eingenommen, was nur einen Schein von Neuheit und Kühnheit hat; dagegen voll unbändiger Vorliebe für alle mit ‹Anstand› ausgeübten Gemeinheiten!»
Am 8. März 2019 jährt sich der Todestag dieses nach Selbstbestimmung und Freiheit strebenden Musikers zum 150. Mal. Zeit, seine fast verschollenen Werke zu würdigen. Die erhaltenen Teile von La Mort d’Orphée finden sich in überzeugender Interpretation auf einer CD, die Berlioz-Raritäten ver­sammelt. Rolando Villazón ist als Tenor zu hören, Michel Plasson dirigiert und be­gleitet weitere Raritäten auf dem Klavier. So auch jenes Gelegenheitswerk, das die Eröffnung der Zugverbindung zwischen Paris und Lille feiert. – Hörenswert und entdeckungswürdig!