Ursula Strauss im Gespräch mit Maria A. Kafitz

Die Magie des Moments

Nr 231 | März 2019

Das altehrwürdige Café Westend, das bereits 1895 seine Kaffeehaustüren öffnete, erstrahlt seit Kurzem in neuem Glanz – und hat zum Glück dennoch nichts von seinem besonderen Wiener Charme verloren.
So richtig charmant ist es dort aber vor allem dann, wenn man mit lieben Menschen beim Kaffee ins Plaudern kommt. «Charmant» ist eines der Worte, das einem bei der Begegnung mit Ursula Strauss an diesem Ort sogleich in den Sinn kommt – aber auch «lebendig», «offen» und «wunderbar unprätentiös». Die überaus erfolgreiche Schauspielerin (sie erhielt u.a. vier Romy-Auszeichnungen, den Österreichischen Filmpreis und jüngst den Mario-Adorf-Preis für ihre Verkörperung der Brunhild bei den Nibelungenfestspielen in Worms) ist neben ihren zahlreichen Bühnen-, TV- und Filmprojekten auch Präsidentin der Akademie des Österreichischen Films und leitet ihr eigenes Kulturfestival «Wachau in Echtzeit». Zusammen mit Doris Priesching hat sie zudem ein Buch veröffentlicht («Warum ich nicht mehr fliegen kann und wie ich gegen Zwerge kämpfte: Bilder und Geschichten», Amalthea Signum Verlag), das einen kleinen Einblick in ihr bisheriges Leben und ihre Liebe zur Schauspielerei schenkt.
Ursula Strauss liebt ihren Beruf, ihre Familie und das Leben. Und sie ist davon überzeugt, dass die «Magie des Moments», die sie auf der Bühne oder vor der Kamera immer wieder sucht und findet, nicht auf die Schauspielerei beschränkt bleiben muss, sondern sich auch dort ereignen kann, wo sich Menschen wirklich und ohne Vorurteile begegnen.
Als sie sich nach dem Gespräch verabschiedet, versteht man durchaus, was sie damit meint.

Maria A. Kafitz | Liebe Frau Strauss, wir teilen, wie ich durch Ihr Buch erfahren konnte, ein Schicksal: Wir sind beide kleine Schwes­tern. Ich habe nur einen größeren Bruder, der Held und Herausforderung war und ist – Sie gleich drei davon. Wie haben Sie es geschafft, sich als kleine Schwester dennoch zu behaupten?
Ursula Strauss | Ich weiß es nicht (lacht). Nein, meine Brüder sind großartig und sie hatten viel Spaß mit mir, denn ich war ein leichtes Opfer. Ich habe sie immer bewundert und wollte ihnen natürlich auch nacheifern. Ich glaube, dass dieser Umstand mir einen gewissen Antrieb gegeben hat, aktiv zu sein. Ich musste ja, wenn ich mithalten wollte (was ich natürlich nie konnte, denn mein jüngster Bruder ist acht Jahre älter als ich), findig sein und kämpfen. Das ist etwas, worüber ich noch heute sehr froh bin.

MAK | Was waren Sie denn für ein Kind – eine zurückgezogene Schüchterne oder eine draufgängerische Wilde?
US | Beides. Ich glaube, ich hatte Anteile von Wildheit und auch großer Schüchternheit. Grundsätzlich war ich eher schüchtern – und bin es auch jetzt noch. Das glaubt man zwar meist nicht, aber in mir drin habe ich einen «Genierer» sitzen. Der begleitet mich, seit ich denken kann. Manchmal ist er stärker, manchmal schwächer. Es ist immer entscheidend, in welcher Umgebung ich mich befinde, welche Leute um mich sind. Wir alle haben ja ganz unterschiedliche Anteile in uns – je nachdem, welche Saite man anzupft, erklingt ein bestimmter Ton. Als Kind hatte ich das Gefühl, dass ich keine wirkliche Besonderheit oder Begabung habe. Irgendwann bin ich aber draufgekommen: Ich kann dafür auf vielen verschiedenen Saiten spielen.

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Fotos: © Wolfgang Schmidt | www.wolfgang-schmidt-foto.de | Durch die Bildergalerie geht's per Klick auf die Klammern

MAK | Was für eine Schauspielerin ja eine ziemlich gute Berufsvoraussetzung ist. Von Ihren Eltern haben Sie zudem eine «gute Charaktermischung» vorgelebt bekommen. Sie beschreiben Ihre Mutter als eine Frau mit «vernünftiger Weichheit» und Ihren Vater als einen Mann mit viel «Leidenschaft und noch mehr Durchsetzungsvermögen». Finden Sie beides in sich wieder?
US | Absolut! Ich habe viele Teile von beiden – auch die Sturheit, ein ganz großes Thema in unserer Familie. Natürlich nimmt man nicht nur die schönen Dinge in sich auf und entwickelt außerdem noch gewisse Eigen­arten. Manchmal macht das ziemliche Probleme. Aber Kinder müssen sich wohl erst einmal abgrenzen von den Eltern, um ihren eigenen Weg zu finden. Ob das bei mir so stark stattgefunden hat, weiß ich gar nicht mehr so recht. Vielleicht erst durch meinen Berufswunsch, die Schauspielerei, die mich in eine ganz andere Welt geführt hat. Es ist ja normal, dass Menschen, die eng miteinander verbunden sind, auch an die Grenzen des anderen stoßen oder an ein gewisses Unverständnis, an eine unerfüllte Sehnsucht. Dann denkt man sich: Warum verstehst gerade du das nicht? Warum muss ich mich dafür jetzt rechtfertigen? Solche Reibungsmomente sind gerade in der Beziehung zwischen Eltern und Kind sehr, sehr spannend, und man kann wahnsinnig viel daran lernen ? die Eltern von den Kindern und die Kinder von den Eltern. Ich war meinen Eltern immer dankbar dafür, dass sie mitgelernt haben, dass sie uns wirklich zugehört und immer Ver­änderungsbereitschaft gezeigt haben. Es ist ein lebenslanges gegenseitiges Lernen aneinander – und das finde ich wunderschön. Noch heute trage ich mit meiner Mutter (sie wird bald achtzig und hätte das gar nicht nötig) wirkliche Konflikte aus. Genauso zeigen wir uns aber auch unsere große Liebe zu­einander. Sie ist immer noch neugierig und offen – das hält sie neben ihren guten Genen wohl so jung. Wenn ich alt bin, möchte auch ich diese Offenheit nicht verlieren. Wir alle können an jedem Tag unseres Lebens etwas lernen und uns neu entwickeln.

MAK | Wir beide versuchen ja, uns auch beruflich immer wieder neu einem fremden Leben zu nähern. Wenn Sie eine Rolle übernehmen, machen Sie sich dieses Leben sogar zu eigen. Wie schafft man es, eine Figur so in sich hineinzulassen, dass man sie werden kann, ohne sie nach Drehschluss oder Schluss­applaus zu bleiben?
US | Durch Magie. Spielen ist Magie. Das ist ja das Schöne. Es gibt ein paar Dinge auf der Welt, die man nicht erklären kann. Ich finde es wunderbar, dass noch Fantasie- und Energie­räume übrig bleiben, die wir nicht durchschauen können. Das ist so bei guten Begegnungen – und vor allem in der Liebe. Liebe kann man auch nicht in Worte fassen, man kann sie nur spüren. Beim Schauspielen ist das auch so. Es gibt technische Erklärungsversuche und zahlreiche Theorien, aber das letzte Fünkchen kann man nicht festhalten, weil es die Flüchtigkeit des wahren Moments ist. Ich weiß nicht, wie es funktioniert, ich kann nur aus meiner Erfahrung sagen, dass die Figuren, wenn man sie zulässt, wirklich aus einem sprechen. Wenn man im Moment des Spielens in einer Situation ist und wirklich loslässt, passieren Dinge, die man sich so vorher nicht überlegen kann. So genau kann man sich gar nicht in eine Figurenpsycho­logie hineinarbeiten. Die Figuren überraschen einen, sie haben eben auch etwas mitzureden. Sie sind ja eine Form von Energie, die im Spiel zum Leben erweckt wird.

MAK | Und wie wird man sie wieder los? Sie können ja nicht bis an den Rest Ihrer Tage beispielsweise Anna Sacher (Das Sacher) oder Angelika Schnell (Schnell ermittelt) in sich mittragen?
US | Ein kleines Stück schon. Ich fühle mich sehr geehrt, dass ich etwas von einer Anna Sacher in mir tragen darf. Diese Frau war unglaublich, sie war eine Revolutionärin. Sie hat zum Beispiel ihre Angestellten krankenversichert. In einer Zeit, in der das gar nicht üblich war, wusste sie, dass man gute Arbeit von seinen Angestellten nur dauerhaft bekommen kann, wenn man ihnen auch gute Bedingungen bietet. Sie war eine raffinierte Lobbyistin und die erste Frau in einem Männerbund. Natürlich bin ich nicht Anna Sacher, das ist überhaupt keine Frage. Aber einen kleinen Teil dieser Frau gebe ich nicht mehr her, denn sie macht mich stärker, macht mich mutiger und weitsichtiger. Man lernt von den Figuren viel, wenn man sie ernst nimmt.

MAK | Starke Frauen kann es nicht genug geben – auf der Bühne, dem Bildschirm und vor allem in der Gesellschaft. Wie ist es in Ihrer Branche um die «Chancengleichheit der Geschlechter» bestellt?
US | Die Männer haben schon noch ziemlich viele der Machtpositionen inne. Aber durch die viel diskutierte Quote hier in Österreich ist es in den letzten zwei Jahren gelungen, die Situation von Frauen in der Filmbranche etwas zu verbessern. Wir sind noch nicht auf Augenhöhe, es gibt noch keine 50/50-Geschichten, und ich weiß auch, dass die Quote immer wieder umstritten ist. Dann heißt es: Kunst und Qualität sind doch nicht geschlechtsabhängig. Einerseits stimmt das, andererseits muss man aber erst einmal die Möglichkeit schaffen, auf Augenhöhe zu kommen. Und wenn’s nicht von selbst geht, dann muss eben so lange eine Regelung her. Irgendwann, wenn wir wirklich in einer Gesellschaft der Gleichberechtigung leben, können wir unsere Kräfte gerne zusammen für andere Dinge einsetzen.

MAK | Ihnen ist die Stärkung und der Schutz von Frauen eine Herzensangelegenheit – auch jenseits des beruflichen Zusammenhangs.
US | Oh ja! Ich bin aus Überzeugung UN-Botschafterin für Keine Gewalt gegen Frauen, denn es muss sich grundlegend etwas ändern. Es ist nämlich immer noch so, dass weltweit bei Frauen die häufigste Todesursache häus­liche Gewalt ist. Das scheint aber offensichtlich eine Nebensächlichkeit in unserer Gesellschaft zu sein – es wird viel zu wenig darüber gesprochen. Dabei müsste es überall einen Aufschrei geben! Und es ist ein globales Problem, mit dem man sich nicht einfach abfinden kann.
Wir sind noch immer in einem patriarchalen System festgezurrt. Es wird aber dringend Zeit, die Fesseln nicht nur zu lockern, sondern zu lösen. Das heißt jetzt nicht, dass ich grundlos gegen Männer hetze – ich liebe Männer, ich arbeite gerne und gut mit ihnen zusammen, ich bin mit ihnen aufgewachsen, allen voran ja mit meinen drei wunderbaren Brüdern, über die wir kurz sprachen. Aber Faktum ist, dass auf dieser Welt noch immer die meisten Frauen durch die Gewalt eines Mannes sterben, und zwar des Mannes, den sie geheiratet haben oder mit dem sie zusammen sind. Diese Todesursache rangiert vor Auto­unfällen und vor allen Krankheiten! Wenn wir es hier in den «aufgeklärten Ländern» nicht schaffen, weiter zu kämpfen und uns mit ein paar Krümeln vom Brot zufriedengeben, dann lassen wir uns und vor allem auch die Frauen in anderen Ländern doppelt im Stich. Ich will nicht einfach nur ein paar Brösel vom Kuchen, ich möchte, dass es ganz selbstverständlich ist, dass alle das gleiche Recht haben. Es ist schlicht nicht fair, die Hälfte der Weltbevölkerung zu diskriminieren und aufgrund ihres Geschlechts Besitz­an­sprüche zu stellen und zu meinen, dass man einem Körper, der einem nicht ge­hört, Schaden und Gewalt zufügen kann – physischer, psychischer und sexueller Natur. Das eigene Recht auf Gleichstellung einzufordern bedeutet ja nicht, den anderen von nun an zu unterdrücken. Außerdem, das müssten die Männer endlich mal begreifen, kann es doch nur bereichernd sein, wenn wir uns auf Augenhöhe begegnen. Hiermit sollte man schon ganz früh zu Hause anfangen. Im Bildungssystem muss es dann aber weitergehen: In den Schulen sollte neben politischer Bildung Emanzipation gelehrt werden – und Herzensbildung. Und damit dürfen wir alle ein Leben lang nicht aufhören.