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Daniela Drescher

Giesbert hört das Gras wachsen

Nr 236 | August 2019

gelesen von Simone Lambert

… Was ist schon eine Klebrigkeit
In der großen Ewigkeit?

Wichtig sind doch solche Sachen,
die uns Bauchgekribbel machen. …


So lautet einer der Knittelverse, den Giesbert (nase)weise am Ende eines erlebnisreichen Tages dichtet.
Die Fortsetzung von Giesbert aus der Regentonne um den Wicht, der mit anderen Vertretern des kleinen Volkes im Garten der Erzählerin lebt, entzückt mit neuen zauber­haften Geschichten aus dem Gartenleben.
Giesbert hatte, damit schloss der erste Band, für den Winter seine Regentonne ver­lassen und war in die häusliche Badewanne umgesiedelt. Das Ende des Winters, Frühling und Frühsommer, sind die Jahreszeiten, in denen der zweite Band spielt – nach Sommer und Herbst, die das glühende Hintergrundbild des ersten Bandes gegeben haben.
Giesbert macht nun Erfahrungen im Schnee und lernt neue Tiere kennen. Jedem Tier verleiht Daniela Drescher dabei einen eigenen Charakter. Der große stumme Protagonist aber ist der Garten, an dem der stete Wandel erlebt wird. Dass Giesbert ein Teil davon ist, wird deutlich, als er eine tote Amsel findet und ihr, unbefangen und mit Anmut, ein schönes Begräbnis verschafft: Die Würde des Rituals verhilft den Freunden, wieder Freude zu empfinden.
Giesbert begegnet diesmal einem Wiesel, dem klugen Raben Konrad, der auch nicht alles weiß, einem wilden Ziegenbock und eines Nachts fragt ihn sogar ein Wolf nach dem Weg – höflich, würdevoll, beschämt, dass er die Orientierung verloren hat. Ein besonderes Vergnügen bereitet Giesbert der Hase, als er ihn überreden kann, ihn bei einem Lauf reiten zu dürfen. Es folgt ein wildes Rennen, das er nicht vergessen wird. Und Giesbert, der sein Geburtsdatum nicht kennt, beschließt, Geburtstag zu feiern. Fast aber wird daraus nichts, denn er verstaucht sich den Fuß …
Er ist ein liebenswerter kleiner Kerl, mitfühlend und einsatzbereit, manchmal toll­patschig, aber immer gutwillig. Er hört «das Gras wachsen», er spürt genau, was andere bewegt, und versucht zu helfen und zu beglücken. Drollig sieht er aus mit seinen dünnen Armen und Beinen, seinem runden Bauch und der knubbeligen Nase; allein sein Schattenriss vor einem Sternenhimmel bringt den Betrachter zum Lächeln. Sein Anblick, wenn er staunend, still und neugierig eine neue Situation, ein neues Abenteuer zu verstehen sucht, berührt.
In den dreizehn episodischen Kapiteln verflechten sich drei Welten: die der Menschen, vertreten durch die Erzählerin, die der Tiere, die in Haus und Garten leben (Haustiere wie wilde Tiere), und die des kleinen Volkes – Wesen, teils sehr alt, und junge Wichte wie der kleine Giesbert, die wie der Geist eines Ortes oder einer Pflanze sind.
Mehr noch als im ersten Band wird der Zusammenhalt beschrieben, die gegenseitige Hilfe, die einen schützenden Kokon um die Lebewesen bildet und (Garten­bewohner wie Leser) glücklich macht. Giesbert kann sogar den eigenbrötlerischen staubigen Eckenwicht ein Zugeständnis abringen. Er findet immer wieder Wege, die Dinge zu regeln: das ist das Wesen des Optimisten!
Man kann als Leser nicht genug bekommen von diesem liebenswerten Kerlchen, das sich am Ende des Tages ein Schnittlauchbrot gönnt. Seine kleinen Abenteuer begründen eine Vertrautheit, die die Hoffnung auf mehr Geschichten weckt. Viel Vergnügen!